Am 10. Februar machten sich Olga und ich (Jonas, aus Würzburg) sowie Jonas (es gibt 2) und Malte (aus Vechta) auf den Weg nach Chios. Wir trafen uns alle zum ersten Mal am Flughafen in Frankfurt. Mit reichlich Kleiderspenden ausgestattet, begannen wir also unsere Reise – was wir alle nicht wussten, dass aus unseren ursprünglich geplanten 17 Tagen (28. Februar) unglaubliche 54 Tage (28. März) wurden.

Nachdem wir in der Türkei in Izmir gelandet waren, ging es für uns per Transfer weiter nach Cesme. Dort übernachteten wir, um am nächsten Tag per Fähre nach Chios (Griechenland) aufzubrechen.

In Chios angekommen, gingen wir direkt zum SoliCafe, um uns einen Überblick über die Lage vor Ort zu beschaffen. Das SoliCafe war ein leerstehendes Haus, welches zum Zweck der Flüchtlingshilfe renoviert und aufbereitet wurde. Das geschah durch eine Gruppe von unabhängigen Freiwilligen, die zeigen wollten, dass es möglich ist, Geflüchtete in den normalen Alltag zu integrieren. So war es Gang und Gebe, dass Flüchtlinge kochten, aufräumten, abspülten, das Essen ausgaben, übersetzten und auch dort schliefen. Kurz um, sie halfen uns, Tag für Tag zu organisieren und nahmen uns unglaublich viel Arbeit ab. Es gab zum Beispiel eine „Kochliste“ in die sich jeder eintragen konnte, der kochen wollte. Doch nicht nur wir und andere Gruppen halfen den Menschen, auch die dort beheimateten Griechen halfen den Refugees. Sie brachten uns Mandarinen, Kleidung und Brot. Wir durften auch bei einer Mandarinenfarm gratis Mandarinen pflücken und bei Bäckereien bekamen wir das Brot vom Vortag umsonst.

 

Die Lage am Anfang unserer Reise war einfach zu beschreiben: nichts los. Auf der Insel waren 16 Flüchtlinge. Viele NGO’s verließen daraufhin die Insel und gingen in die Türkei.

Folglich war nicht viel zutun in der Küche, also begannen wir den Keller auszuräumen um darin eine Kleiderausgabe einzurichten. Nach 2 Tagen saubermachen, einräumen, Kleidung sortieren und Regale bauen hatten wir es geschafft und auch die Situation hatte sich geändert.

Von Tag zu Tag kamen mehr Geflüchtete an, was uns alle ein bisschen aus der Bahn warf: die meisten waren Frauen und Kinder. Und so verlagerte sich auch unser Arbeitsengagement von unserer schönen Kleiderausgabe hin zu Essen kochen.

Wir arbeiteten nun tagsüber in der Küche bzw. der Kleiderausgabe des SoliCafes und nachts arbeiteten wir zusammen mit den „Piraten“. Die Piraten sind zwei Griechen, die einfach Unglaubliches leisten. Während ihren Nachtschichten ziehen sie die Boote aus dem Wasser und versorgen zusammen mit anderen Gruppen die Neuankömmlinge mit warmen Tee und trockener Kleidung.

Wie kann man sich eine „Nachtschicht“ vorstellen?

Wir bereiteten jeden Abend unser Auto vor, das heißt, wir packten Kleidung ein und wenn wir noch ein Auto von anderen Freiwilligen hatten, auch heißen Tee. Und ab 22 Uhr am Abend ging es los, man brachte Leute aus den Booten und ging mit ihnen zu den Autos, um sie angemessen zu versorgen. Unsere ersten 3 Nachtschichten waren gleichzeitig auch wie ein Wurf ins kalte Wasser. Zwischen 13 und 24 Booten kamen an, eine unglaubliche Zahl, wenn man bedenkt, dass in jedem Boot ca. zwischen 50 und 70 Menschen befinden.

Unsere Hilfe wurde gebraucht an allen Ecken und Enden: tagsüber beim Kochen oder der Kleidungsausgabe und in der Nacht beim Herausziehen der Menschen aus den Booten. An diesem Punkt merkten wir, dass wir nicht gehen konnten. Wir mussten bleiben, um zu helfen, da die Lage immer angespannter wurde.

Die Flüchtlingszahl war in der Zeit zwischen unserer ersten und dritten Woche auf fast 2.000 Menschen angestiegen. Das Problem an der Sache war, dass, wie bereits erwähnt einige NGO’s die Insel verlassen hatten. Es waren also nur 3 Küchen übrig, die die Geflüchteten mit Nahrung versorgen konnten. Kurzfristig waren es auch nur 2 Küchen, da eine andere Gruppe aus rein bürokratisch willkürlichem Aktionismus von der Polizei für einige Tage aus dem Verkehr gezogen wurde. Wir bereiteten 3 Mahlzeiten pro Tag vor: Frühstück, Mittagessen und Abendessen. Höchststand einer Mahlzeit waren ca. 1.500 Portionen.

Wir waren zwar viele Freiwillige, aber niemand von uns hatte zuvor wirklich für diese Anzahl an Menschen gekocht. Und da wir mit den immer noch steigenden Flüchtlingszahlen schlichtweg überfordert waren, baten wir einen befreundeten Koch um Hilfe, um uns auch ein bisschen was abschauen zu können.

In dieser Zeit waren wir sowohl körperlich als auch geistig nicht in bester Verfassung, da wir durch unsere Doppelbelastung mit Nachtschichten – die mitunter bis 13 Uhr gehen konnten – als auch mit der Kleidungsausgabe und dem Kochen von Essen während des Tages nicht allzu viel Schlaf bekamen.

Nachdem wir dann unseren Mietwagen abgegeben hatten, gingen wir nur noch sporadisch auf Nachtschichten und konzentrierten uns stattdessen auf die Hilfe, die tagsüber gebraucht wurde.

Mittlerweile war die Zahl der Geflüchteten auf ca. 3300 Menschen angewachsen, es waren alle 4 Camps geöffnet: Souda (ca. 900), Tabakika (ca. 400), Port (ca. 250) und Overflow (ca. 250). Auch der neue „Hotspot“ in Vial (ca. 1.300) hatte schon geöffnet, jedoch wurden die Menschen damals noch von dort nach der Registrierung in die anderen Lager verteilt. Doch auch dies sollte sich in einer Nacht- und Nebelaktion ändern, denn mit dem Abschluss des EU–Türkei–Deals veränderte sich die Lage auf der Insel drastisch.

Innerhalb eines Tages wurden ca. 2.000 Menschen nach Athen gebracht, um das Detention Center, den hochgelobten Hotspot offiziell und als einziges Lager zu eröffnen. Es blieben also rund 1.300 Menschen auf der Insel, eingesperrt in einem Camp namens Vial, dass mehr als Gefängnis fungiert und dessen Kapazität offiziell bei 1.100 Menschen liegt.

Der „Hotspot“, von allen Freiwilligen und auch Polizisten als Gefängnis bezeichnet, liegt im Landesinneren auf einer kleinen Straße, abseits von der Öffentlichkeit. Die Flüchtlinge können sich weder frei bewegen, noch bekommen sie Informationen über ihren weiteren Reiseverlauf. Niemand klärt sie auf, weder dass sie Asyl beantragen müssen, noch wieso sie eingesperrt sind (seit nun mehr als 20 Tagen). Umzäunt von Stacheldraht und entnervten Polizisten, die nichts kommunizieren wollen, sind nun Kinder, Frauen, Familien und Männer eingesperrt. Unter ihnen auch Menschen mit Personalausweisen aus der EU.

Diese Menschen, die einige Stunden zuvor noch gemeinsam mit uns gekocht, saubergemacht, Tische gebaut und gelacht hatten, fanden sich nun in einem Lager wieder, das mehr einem „Gefängnis“ ähnelt als einer menschenwürdigen Unterkunft.

Es gibt weder eine Kleidungsausgabe, noch gab es zu Beginn eine ordentliche Essensversorgung. Anfangs wurde diese vom griechischen Militär übernommen, hier ist zu erwähnen, dass das griechische Militär nicht einmal die Kapazitäten hat, seine eigenen Soldaten angemessen zu versorgen. Und so gab es dann auch nur eine Scheibe Weißbrot mit einem kleinen Becher Wasser zu essen.

Einige andere Voluntärgruppen und Küchen schafften es, nach langen Verhandlungen mit den dort zuständigen Beamten, in das Lager zu kommen, um dort Essen auszugeben. Die Essensausgabe ist wie ein lebensicherndes Minimum, das jeder Mensch zum Überleben braucht. Wir als Gruppe haben die Entscheidung getroffen, nicht in den „Hotspot“ zu gehen, um dort Essen bereitzustellen, sondern den Menschen Essen, Wasser, Nahrungsmittel und Informationen über ihr Recht auf Asyl usw. durch den Zaun zu geben und auch um Anwesenheit gegenüber den Polizisten zu zeigen.

Mehrere Demonstrationen wurden von Geflüchteten im „Gefängnis“ organisiert, um auf den Missstände hinzuweisen, da zu Beginn auch Medien vertreten waren. Die Medienpräsenz nahm aber genauso schnell ab wie sie begonnen hatte.

Und so kam es zu immer mehr unschönen Zwischenfällen, sowohl zwischen Flüchtlingen, als auch zwischen Freiwilligen und der Polizei.

Zwischenfälle zwischen den verschiedenen Flüchtlingsgruppen aus verschiedenen Ländern kann man sich hier in unserer organisierten Welt vielleicht nicht erklären, wenn man aber 20 Tage eingesperrt und zusammengepfercht wie Tiere mit einem Nahrungsminimum in einem „Gefängnis“ lebt, erreichen die meisten Menschen einen Punkt, an dem sie nur noch an sich selbst denken.

Genau an diesen Tagen, an dem die Lage immer angespannter wurde, kam auch unser endgültiges Abreisedatum immer näher. Und es wurde Zeit für uns, uns von dem Ort, in den wir so viel Herzblut gesteckt hatten zu verabschieden.

Nicht, dass wir unser gepflegtes Bett, ein ausgiebiges Essen oder eine gute Dusche nicht vermisst hätten, ja wir wollten gehen, aber wir taten uns trotzdem schwer zu gehen und so traten wir unsere Heimreise nach 54 Tagen wieder an.

Über denselben Weg ging es zurück, Fähre nach Cesme – Transfer Izmir – Flug nach Frankfurt.

Und da waren wir, wieder zurück in Deutschland, aber irgendwie mit den Gedanken noch 2.000 km weiter südlich.

Komisches Gefühl wieder hier zu sein, gedanklich noch komplett woanders, daran denkend, dass die Situation nicht besser sondern schlechter wurde.

Warum wurde die Situation schlechter?

Am Tag nach unserer Abreise brachen mehrere hundert Geflüchtete aus dem „Gefängnis“ Vial aus und besetzten den Hafen. Sie aßen dort, sie schliefen dort und sie lebten dort. Alles war friedlich. Doch die Stimmung kippte.

Wie aus dem Nichts organisierten und organisieren sich im Moment, rechte Gruppen, welche die Flüchtlinge bedrängen, angreifen und terrorisieren. Die Polizei ist machtlos, da sie nicht die Kapazitäten hat, um etwas dagegen zu tun.

Es wurden Brandsätze auf das Haus geworfen, in welchem wir für über 7 Wochen halfen. Tische zerschlagen und Scheiben eingeworfen.

Am Hafen stellten sich Freiwillige vor die Flüchtlinge, um diese zu schützen, wurden jedoch von den Faschisten körperlich angegriffen. Darunter auch eine junge zierliche Frau von 21 Jahren, die wir selbst auch sehr gut kennen. Angezeigt wurde auch ein anderer Freiwilliger, obwohl dieser eigentlich Opfer der Gewalt war.

Und das alles nur, weil man Menschen Essen bringen wollte, weil man sich vor schutzsuchende Menschen stellte.

Die Polizei brachte die Geflüchteten daraufhin zurück in die in der Stadt liegenden Lager, um die Lage zu entspannen. Unseren Informationen zufolge kam es jedoch, u.a. aufgrund von fehlender Kommunikation, zu Übergriffen der Polizei auf Flüchtlinge.