Verschärfung der Narrative & Verschiebung nach rechts im öffentlichen Diskurs

Am 26.11.2023 fanden in mehreren deutschen Städten Demonstrationen gegen die weitgehende Abschaffung des Asylrechts durch das GEAS-Abkommen statt. HERMINE durfte einen Redebeitrag beisteuern. Den Text findet ihr hier.

Wir sehen in der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystem die Verabschiedung von menschenverachtenden Gesetzen und die Etablierung eines Systems, das die prekäre humanitäre Situation für geflüchtete Menschen noch weiter verschärft. Das Menschenrecht auf Asyl wird mit den geplanten Neuerungen auf allen Ebenen ausgehöhlt. 

Parallel zu den laufenden Prozessen dieser Gesetzgebung, die auf die fortschreitende Aushöhlung der Menschenrechte ausgerichtet ist, mussten wir in den letzten Monaten beobachten, wie sich die Rhetorik im öffentlichen Sprechen über Flucht, Migration, Asyl in beinahe allen politischen Lagern immer weiter verschärft hat. 

Da ist das plakative, aber inhaltsleere Zitat von SPD-Kanzler Olaf Scholz: „Wir müssen endlich konsequent abschieben“ auf der Titelseite des Spiegels, oder die schlicht falschen Aussagen von CDU-Vorsitzendem Friedrich Merz zur zahnärztlichen Versorgung von Geflüchteten, bis hin zur generellen Infragestellung des individuellen Asylrechts, z.B. von CDU-Politiker Jens Spahn. FDP-Chef Christian Lindner verbreitet weiterhin den Mythos von Sozialleistungen als Pull-Faktoren und propagiert damit für noch schlechtere Lebensbedingungen asylsuchender Menschen. Worte der Menschlichkeit und Solidarität werden in der Politik immer weniger und leiser.

Die offen rechtsradikalen und menschenverachtenden Äußerungen der AfD will ich hier nicht wiedergeben – aber hier stoßen wir auf ein Problem: Die Äußerungen der verschiedensten Parteien ähneln immer mehr denjenigen der AfD. 

Was passiert hier? Der Konsens über die Fragestellung, die politische Herausforderung und das Verständnis der ‘Probleme’, mit denen wir konfrontiert sind, scheint sich immer weiter nach rechts zu verschieben. 

Diese Verschiebung geschieht durch ‘Argumentationen’, die Migration und Schutzsuchende pauschal zum Problem erklären und verantwortlich machen für die vielfältigen aktuellen Krisen der deutschen und europäischen Politik.

Die Migrations- und Asylpolitik wird instrumentalisiert, um von der eigentlichen strukturellen Bedingtheit vielfältiger Krisen abzulenken. Migration ist weder ein Problem, noch ist Migration verantwortlich für aktuelle Krisen, mit denen wir uns konfrontiert sehen. 

So beispielsweise die Äußerungen von Merz: Er dockt rhetorisch an Probleme im Gesundheitssystem an, um diese dann ohne jegliche Faktengrundlage auf Schutzsuchende abzuwälzen.

Ebenso Lindner: Er greift Probleme in der Verteilung von Sozialleistungen auf und stülpt diese – wiederum ohne Faktengrundlage – über die tatsächlichen Fluchtursachen. Fluchtursachen, die menschliche Realitäten betreffen. Nicht wegen Sozialleistungen fliehen Menschen. Sie fliehen, sie werden vertrieben, aus Staaten, die nicht sicher sind, die auch keine ’sicheren Drittstaaten’ sind. 

Die Aussagen, die wir in den letzten Wochen und Monaten vermehrt hören, sind nichts anderes als rechte, populistische Parolen. Die Strategie vieler Politiker*innen gegen die hohen Umfragewerte und Wahlergebnisse der AfD scheint wohl zu sein, sich ihr anzunähern. Damit verschieben sie die Grenzen des Sag- und Denkbaren. Sie machen rechte Aussagen mehrheitsfähig und lassen die Grenzen zu einer rechtspopulistischen antidemokratischen Partei verschwimmen. Sie ebnen den Weg dafür, menschenverachtende Gesetzesänderungen mithilfe von Rechtspopulismus und Falschinformationen öffentlich zu rechtfertigen. 

Die so oft beschworene ‘Spaltung der Gesellschaft’ wird durch die Instrumentalisierung von Migration und durch rassistische Forderungen nicht kleiner. Denn wir haben es nicht mit einer Spaltung zu tun, die mit einem einheitlichen, rechten Narrativ geschlossen werden könnte. Rassismus und Rechtspopulismus sind ein Abgrund, in den wir nicht hinabsteigen dürfen. Es gilt, sich klar zu positionieren. Es braucht eine klare und aktive Abgrenzung zu rechtspopulistischen Aussagen.

Doch dabei bleibt es nicht. Der Rassismus findet sich schon jetzt nicht nur in Worten, sondern auch in Taten wieder. Die Statistik des BKA zu politisch motivierter Kriminalität zeigt einen klaren Trend: Für die Monate des ersten Halbjahres 2023 lag die Zahl der erfassten rechtsmotivierten Straftaten jeweils deutlich über denen der beiden Vorjahre. Die geplanten Reformen tun nichts anderes, als Gewalt gegen Schutzsuchende zu legitimieren.

Völlig zurecht hat der Leiter der Europaabteilung der Menschenrechtsorganisation, Karl Kopp, die Position der Bundesregierung als “historischen Fehler” bezeichnet. Was kann das bedeuten?

Migration gehört zur Natur von Menschen und Menschengruppen aller Zeitalter – auch wenn sich die Gründe für Flucht und Migration unterscheiden. Das Menschenrecht auf Asyl versucht eben das anzuerkennen und zu schützen. 

Flucht und Migration haben eine Vergangenheit, eine Gegenwart und eine Zukunft. Doch wie werden wir in Zukunft auf diese Politik, auf diese Gesetzesänderungen blicken, wenn wir sie nicht abwenden können? Sie sind heute ein Fehler, der vermieden werden kann, wenn wir aus der Vergangenheit lernen oder wenn wir uns trauen, denjenigen zuzuhören, die heute als Menschen von der Realität von Flucht und Migration tatsächlich betroffen sind. Die geplanten Reformen werden immer ein Fehler bleiben, wir werden sie auch nachträglich nicht entschuldigen oder rechtfertigen können. Jetzt ist die Zeit, zu handeln und sie aufzuhalten. 

Wir fordern eine klare Abgrenzung von rechter Hetze in der Politik und der Gesellschaft und stattdessen eine klare Positionierung für Solidarität, Engagement und Menschlichkeit.  

Wir fordern eine klare Abgrenzung von der GEAS Reform und stattdessen eine klare Positionierung für das Recht auf Asyl.